«Jetzt längt’s, Sie können nicht immer vagabundieren!»

Mit diesen Worten forderte der damalige UB-Direktor Fredy Gröbli den jungen Weltenbummler Egon Thurnherr im Jahr 1985 auf, endlich sesshaft zu werden und bot ihm eine feste Anstellung in der Signierstelle an.

Egon Thurnherrs erster Arbeitsvertrag mit der UB lag allerdings bereits länger zurück. Nach vierzehn erfolglosen Bewerbungen wurde der Rheintaler Maturand im Jahre 1977 endlich fündig und konnte eine Schnupperlehre in der UB Basel antreten. Bereits am ersten Ausbildungstag fand der Bibliotheksdirektor Gefallen am jungen Mann, zeigte ihm das Münster, nahm ihn zum Mittagessen mit und gab ihn schliesslich zur Vertragsunterzeichnung beim Erziehungsdepartement ab, wo die UB zu dieser Zeit noch angesiedelt war. Auch in der Ausbildung, am Diplombibliothekarenkurs am Zürcher Hirschengraben, setzte sich Fredy Gröbli durch und dispensierte Egon Thurnherr kurzerhand vom Katalogisierungsunterricht. Als «völligen Blödsinn» bezeichnete Gröbli – der gleichzeitig als Dozent arbeitete – das in der Ausbildung unterrichtete Regelwerk und prüfte stattdessen den Basler Nachwuchs nach den damals in Basel noch gebräuchlichen Preussischen Regeln.

Nach erfolgreichem Abschluss erhielt Egon Thurnherr seine erste Anstellung an der UB, wo er, mit einer Kugelkopfmaschine ausgerüstet, für die Erschliessung der Neuzugänge zweier Fachreferenten zuständig war. Damals hatte jeder Fachreferent noch seinen eigenen Katalogisierer, so dass der junge Mitarbeiter am Vormittag die Neuerwerbungen der Kunstgeschichte erfasste und am Nachmittag Werke der Romanistik bearbeitete. Qualvoll sei dies gewesen, denn jeder Fachreferent pflegte seine eigene Auslegung des Regelwerkes und wehe man hielt das Stundenkontingent nicht ein. Lieber dasitzen und in den Büchern blättern, als sich am Vormittag an einem Buch des Nachmittags zu vergreifen!

Bereits nach sechs Monaten hatte Egon Thurnherr genug – und zwar im doppelten Sinn: genug von der Qual und genug Geld – und trat seine erste grosse Asienreise an. Allerdings gingen ihm schon nach fünf Monaten die Ersparnisse aus, und er musste einen Hilferuf an die Bibliothek absetzen. In einer beispiellosen Sammelaktion wurden für den Abenteurer 500 Franken gesammelt und nach Jakarta überwiesen. Und jawohl, er hat später alle Beträge zurückbezahlt! Die ostasiatische Kultur verleitete zur Meditation, und der

Weltenbummler gelangte zur glasklaren Erkenntnis, dass er auf keinen Fall bis zur Rente an einer Bibliothek arbeiten möchte. So reduzierte er nach seiner Rückkehr sein Arbeitspensum und trat ein Studium der Slawistik und Ethnologie an. Aber anstatt das Studium abzuschliessen, zog es ihn nach drei Semestern wieder ins ferne Ausland – diesmal nach Lateinamerika. Diesmal hatte er besser geplant, und das Geld reichte für sieben Monate. Aber auch hier, in der hispanischen Welt, festigte sich der Entschluss, dass er auf keinen Fall als Bibliothekar in Pension gehen würde.

Zurück in Basel arbeitete er zwar wieder an der Bibliothek, bewarb sich aber parallel dazu in einem Reisebüro. Allerdings verstand er sich hier gar nicht mit dem Vorgesetzten, so dass auch dieser Traum platzte. Es folgte eine dritte Fernreise, diesmal in sieben Monaten um die Welt. Und als er dann wieder nach Hause zurückkehrte, kam der eingangs erwähnte Anruf von Fredy Gröbli.

Dass Egon Thurnherr trotz mehrfacher «Fluchtversuche» bis zur Pensionierung an der UB geblieben ist, war dem Inhalt seiner neuen Aufgabe und den guten Kolleg*innen zu verdanken. Denn er durfte die Signierstelle übernehmen und das habe ihm «wahnsinnig gut gefallen». Parallel dazu leitete Egon ein  Rekatalogisierungsprojekt, in dem zeitweise bis zu 26 Mitarbeiter*innen die 400 000 Karten des NK (neuer alphabetischer Katalog) im Computer abtippten. Hier sammelte er auch seine ersten Erfahrungen als Vorgesetzter: acht Rekatalogisate pro Stunde waren von der Direktion gefordert. Allerdings war Egon bereits damals ein kulanter Chef und rundete auf, wenn jemand eine besonders aufwändige Schublade gezogen hatte oder das Computersystem ausfiel.

Dass er, der sich stets so gut um das Wohl seiner Mitarbeiter*innen kümmerte, nun im zweiten Corona-Winter ganz ohne offizielle Feierlichkeiten in Pension gehen musste, ist besonders schmerzhaft. Wir hoffen nun aber alle, dass er die geplante Asienreise trotz Pandemie bald nachholen kann.

Text: Alice Keller; Bilder: zVg