Der Geschmack der Archive

Irene Amstutz, Leiterin des Schweizerischen Wirtschaftsarchivs SWA, berichtet über Erfahrungen mit der Hochschullehre in Zeiten von Corona.

e-manuscripta im Transkriptionsmodus

e-manuscripta im Transkriptionsmodus. Der Brief stammt aus dem «Archiv Arbeiter- bzw. Streikbewegung in der Basler Bandindustrie im Winter 1868/69».

Das SWA führte im Herbstsemester die Archivübung «Konkurs, Korruption, Krise. Arbeit mit Archivquellen » durch. Die Student*innen sollten auf den Geschmack kommen, mit Archivquellen zu arbeiten und sich im Archiv zurechtzufinden. Wir starteten das Semester planmässig Mitte September 2020 mit Vor-Ort-Veranstaltungen und bekamen dafür die Pandemie-bedingte Bewilligung. Die Teilnehmer*innenzahl mussten wir von vornherein auf zehn Personen beschränken, um die Abstandsregeln wahren zu können. Die ersten sechs Doppelstunden führten wir so im SWA durch. Wir schleppten Quellen in Mappen und Schachteln an und liessen die Student*innen an den Wirtschaftsarchiven und Dokumentensammlungen schnuppern.

Mitte Semester kam dann der jähe Bruch und Vor-Ort-Veranstaltungen wurden verboten. Ab dann nutzten wir alle vorhandenen digitalen Tools und verlegten den Unterricht auf Zoom. Dabei stellten wir fest, dass digitaler Unterricht auch in einem Archivseminar über weite Strecken gut funktioniert. Die Recherchetools sind schon seit langem online. Für den Unterricht gut nutzbare Inhalte sind auf Plattformen wie e-manuscripta (inklusive Transkriptionstool), dem Portal für die Zeitungsausschnittsammlung oder direkt via Bibliothekskatalog online verfügbar. Die Lernplattform ADAM bietet umfassende Unterstützung der Lehre. Damit konnten wir die Student*innen über eine Quelle bloggen lassen, ein gemeinsames Glossar erstellen, die Teilnahme der Student*innen verwalten, E-Quellen hochladen und Suchportale verlinken. Also alles paletti? Wohl kaum. Denn trotz der guten  Erfahrungen, die wir sammelten, war es unabdingbar, dass die Student*innen sich mindestens zu Beginn physisch treffen konnten, dass sie mannigfaltige Archivalien wie Protokolle, Journale, Fotografien aber auch Drucksachen wie Jahresberichte und Zeitungsartikel einmal in den Händen hielten und mit allen Sinnen wahrnahmen. Nur so sind das Erkenntnispotenzial des Originals, der Materialität und die Authentizität der Quellen wirklich fassbar. Der «Geschmack der Archive », wie ihn die französische Historikerin Arlette Farge so packend beschrieb, wird auch in Zukunft einzig auf diese Weise unmittelbar erlebbar sein.

Texte: Irene Amstutz

Schlagwort «Coronavirus» im SWA

Die Corona-Pandemie prägte als maximales Gesundheitsrisiko das Jahr 2020. Neben grossen persönlichen Verlusten und Einschränkungen löste sie auch die grösste Weltwirtschaftskrise der Geschichte aus. Berichte über Kurzarbeit, Betriebsschliessungen und staatliche Hilfspakete jagten einander. Die langfristigen Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft sind noch nicht abschätzbar. Sowohl was den Wandel der Branchenstruktur als auch der Arbeitsformen angeht, ist Schnellzugstempo angesagt. Das SWA sammelte von Beginn weg Zeitungsartikel sowie Studien und legte ein digitales Dossier «Coronavirus» an. Es nutzt für die Benennung seiner Wirtschaftsdokumentationen den Standard-Thesaurus Wirtschaft STW. Der STW ist ein normiertes, bilinguales Begriffssystem zur Wissensorganisation. Ohne Zögern publizierte die STW-Redaktion im Juni 2020 das neue Schlagwort, welches das SWA bereits provisorisch einsetzte. So werden auch in Zukunft alle wichtigen publizierten Quellen zur Corona-Wirtschaftskrise im SWA zur Verfügung stehen.

zurück zur Übersicht

alle Beiträge

Zurück zur Übersicht